"Mit eigenen Augen..." |
Ein Reisebericht aus Berlin,
von Marc Nübling |
17.2.05 - Donnerstag Um 12 Uhr ins Bett gegangen und um 4 Uhr den Wecker klingeln hören, Scheisse, wieso muss ein Urlaub nur so anfangen? Zu allem übel waren dann auch noch die Tragflächen des Fliegers vereist, und wir durften eine halbe Stunde warten bis er flugtauglich gemacht wurde. Aber kaum ist man in der Luft geht es auch schon wieder nach unten, schon übel wenn man sich überlegt wie lange man mit dem Auto von hier nach Berlin unterwegs ist. Die Flugzeit ist mit 45 min also wirklich sehr angenehm, das Warten auf dem Flughafen hat jedenfalls länger gedauert. Wir sind dann mit der nächsten S-Bahn nach Berlin Mitte gefahren, nochmals 45 min. Verrückte Welt. Am Bahnhof angekommen war die erste Orientierung fällig, doch zum Glück war unsere Unterkunft gleich um die Ecke, nur wenige Minuten Fussmarsch entfernt. Beim Einchecken durften wir nochmal ne halbe Stunde warten bis das Zimmer fertig beziehbar war, dann endlich haben wir uns erstmal aufs Ohr gehauen und für ne Stunde einfach nur vor uns hingedönst. Mit einem gemütlichen Spaziergang sollte unsere Berlin-Erkundung dann beginnen. Durch die Linden zum Brandenburger Tor, am Holocaust-Mahnmal vorbei zum Potsdamer Platz. Vor lauter Hunger haben wir dort gleich das Mexikanische Restaurant "Cancun" angesteuert welches mir von meinen Eltern empfohlen wurde. Zurecht, denn die Bedinung war sehr freundlich und das Essen sogar einigermassen günstig. Zusammen mit einem Salitos Bier hat es wirklich hervorragend gemundet. Danach sind wir ein wenig durch die Arkaden geschlendert und haben die Zeit mit beobachten totgeschlagen, bis wir uns um 4 Uhr wie vereinbart mit René aus Zittau im Cinemaxx getroffen haben. Kurze Zeit später kam dann auch noch der Thomas aus Berlin dazu. Gemeinsam sind wir einen Kaffee trinken gegangen und haben ausgiebig über das Festival und Filmkram im Allgemeinen geplaudert, bis die Vorstellung von "Eyes Wide Shut" anfieng. Freudigerweise stand danach Jan Harlan für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung, aber ich war schon nicht mehr so ganz bei der Sache und habe mich mehr über die Fragen und Antworten amüsiert als mir selbst welche auszudenken. Schade, aber die Müdigkeit ist eben ein nicht zu unterschätzender Gegner. Da das S-Bahn Netz gerade an dieser Stelle umgebaut wird mussten wir auch noch heimlaufen, vorbei am Check Point Curry bei dem wir uns noch im ungezügelten Heisshunger die erste gemeinsame Berliner Currywurst teilten. Glück im Unglück, wa? Wir waren jetzt wirklich reif für die Heia, obwohl gerade noch "In the Mood for Love" im Hostelkino lief, welcher den Mittepunkt des Asia-Abends zwischen "Hana-bi" und "Akira" bildete. Aber beim Besten Willen, wir konnten kein Auge mehr aufhalten. 18.2.05 - Freitag Immerhin haben wir bis um kurz nach 9 geschlafen, genug Zeit um das 3 Euro Frühstück des Hostels anzutesten. Brot, Toast, Joghurt, Müsli, Wurst, Käse, Nutella, Marmelade... und im Hintergrund dezenter Punkrock von den Backyard Babies und Rancid. Was für ein Einstieg in den Tag! Wir fahren mit der S-Bahn zum Potsdamer Platz und schauen uns zunächst die kleine aber feine Ausstellung über Production Design im Filmmuseum im Sony Center an. Von Metropolis, über Shining bis hin zum Experiment wird hier dem Betrachter anhand von Bildern, aufgebauten Dioramen und Informationen über die Ikonen (Dante Feretti, Ken Adam, usw.) dieses hochinteressante Themengebiet nähergebracht. Direkt danach ging es in die von mir lange erwartete Ausstellung von Stanley Kubrick's Nachlass im Martin Gropius Bau (nachdem ich sie ja im letzten Frühjahr in Frankfurt verpasst habe). Was soll ich sagen? Es ist einfach unglaublich was hier in geballter Form zusammengetragen wurde. Das fängt an bei Bildern aus seiner Kindheit und geht über die hochinteressante Briefkorrespondenz bis hin zu lebhaften Originalrequisiten wie die Axt aus Shining, das Zeiss Objektiv von Barry Lyndon oder die venezianischen Masken aus Eyes Wide Shut. Als Fan der Person und seiner Filme wird man von der Informationsflut förmlich erschlagen, und man kommt letztendlich arg erschöpft, aber glücklich, nach über zwei Stunden am anderen Ende heraus und wünscht sich eigentlich sofort einen weiteren Durchlauf. Nach diesem Besichtigungsmarathon war nun ein wenig flanieren auf dem Kudamm angesagt, und da wir nicht auf die nächste U-Bahn warten wollten sind wir sofort in den Wagon gesprungen ohne ein Ticket zu lösen. Zum Glück blieb es unbemerkt, doch dazu später mehr. Das KaDeWe bäumte sich direkt vor uns auf, also sind wir flugs rein und haben gleich im obersten Stock die Feinkostabteilung aufgesucht. So und nicht anders stelle ich mir das Paradies vor. Meterlange Vitrinen mit handgeformten Pralinen, über 1800 verschiedene Käsesorten, Bonbons in allen Farben und Formen, 4.5kg schwere Toblerone-Stangen... haltet mich fest!!! Ohne ein weiteres mal ein Risiko eingehen zu wollen haben wir uns nach kurzem auf- und abschlendern am Kudamm brav unsere Kurzstrecken-Fahrkarten gekauft. Prompt haben sich auch gleich 2 Kontrolleure mit an Bord geschlichen. Tja, da konnten wir nur aufatmen und lächeln, diesesmal waren wir ja gewappnet! Pustekuchen. Nach Haltestelle Numero 3 hat sich die Dame nochmal ganz genau unsere Fahrscheine unter die Lupe genommen und uns vor vollendete Tatsachen gestellt. Ein Kurzstreckenschein in der U-Bahn gilt nur für 3 Station, in der S-Bahn für 6. Tja, gewusst wie. Wir stellen uns dumm (was wir in diesem Moment auch wirklich waren) und wurden an der nächsten Haltestelle höflich aber bestimmt rausgeworfen. Na toll, mitten im Niemandsland. Ein paar Strassen weiter haben wir aber schon die nächste Station entdeckt und sind dann von dort aus zurück zum Hostel gefahren, mit einer regulären Fahrkarte versteht sich. Nach kurzem Aufenthalt gings von dort aus kurzerhand Richtung Hackesche Höfe, wo die Jungen und Schönen, möglicherweise aber auch die Alten und Hässlichen, ihre Abende verbringen. Leider haben wir die falsche Jahreszeit erwischt, in den Höfen selbst war eigentlich nichts weiter geboten, aber das Viertel an sich ist sowieso vollgestopft mit Kneipen, Bars und Restaurants. Ein knallevolles Diner im amerikanischen 60er Jahre Stil sollte das Ziel für unser Abendessen sein. Auf dem Teller ein dicker Burger, ein paar dicke Pommes und dünner Krautsalat, dazu meine erste Fassbrause (Berliner Limo)... was jetzt noch fehlte war ein Twist Contest. Aber leider war dafür kein Platz mehr. Später sind wir noch ein wenig um die Häuser gezogen und haben uns im Eiskaffee mit Prosecco (sie) und Glühwein (ich) gestärkt. So schön wie der Tag angefangen hat, so schön ging er auch zuende. 19.2.05 - Samstag Das Frühstück, genauso unterhaltsam und lecker wie gestern. Der Plan war nochmals bei Tageslicht am Kudamm zu schlendern. Jetzt ging auch das berühmte H&M-hopping los. Es hat hier in einer einzigen Strasse nicht einen, auch nicht zwei, sondern mindestens 5 Läden dieses Klamottendiscounters. Jeder ein wenig anders, und doch alle gleich. Im einen läuft halt Techno und im anderen HipHop, aber ansonsten schenkt es sich nicht besonders viel. Immerhin hab ich 5 Teile erworben. 3 Polohemden und 2 ordinäre weisse T-Shirts. Yeah :) Dazwischen lag ein kurzer Besuch in der Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche. Schönes Deckenmosaik. Scheinbar sei am Sauvigny-Platz, an der Parallelstrasse zum Kudamm, die kulinarische Vielfalt am Gange, doch leider nicht in unserer Preisklasse. Also sind wir nur ein wenig drumherumspaziert und haben uns dann letztendlich auf die Suche nach einer Dönerbude begeben. Unglaublich aber wahr, bei über 1300 Filialen in der Stadt scheint diesbezüglich ausgerechnet am Kudamm die grosse Lücke zu sein. Wir sind gelaufen und gelaufen, und als wir schon aufgeben wollten und die nächste U-Bahn Station angesteuert haben war da doch tatsächlich ein türkischer Imbiss direkt vor unserer Nase. Ich bin beim Anblick von totem Tierfleisch selten so glücklich gewesen wie zu diesem Zeitpunkt. Das waren mal wirklich sinnvoll investierte 2 Euro fuffzig. Zurück zum Potsdamer Platz, da wo im wahrsten Sinne des Wortes der Bär steppt. Auf Empfehlung von Thomas haben wir uns erstmal ein Eis in den Arkaden geholt. Wahnsinn was da bei dem Italiener los war, hier wurden die Kugeln in einem Tempo rausgehauen das es durchaus einem Maschinengewehr geschmeichelt hätte. Einem weiteren Bummel durchs Einkaufszentrum folgte der Gang an den roten Teppich. Zwar war noch kaum was los, aber die ersten Aasgeier standen natürlich schon mit ihrem Autogrammbüchlein bereit. Mal sehen ob wir auch noch was vom Kadaver abbekommen bevor wir zum nächsten Termin müssen. Nebst beobachten der langweiligen Berliner Schickeria hatten wir die Ehre dem Olli P. und dem Ben beim signieren auf die Finger zu schauen. Für diese Flitzpiepen standen wir nun also ne Stunde in der eisigen Kälte, ganz kleines Kino :( Egal, weiter gehts. Und zwar im Galopp Richtung U-Bahn die uns nach Ostberlin zum Rosa-Luxemburg Platz bringen sollte. Rechtzeitig zur Vorstellung vom südkoreanischen Drama "This Charming Girl" welcher im Forum des jungen Films im Filmkunsthaus Babylon lief, einem wunderschön hergerichteten Ostkino. Ein wenig zu zäh, ein wenig zu subtil, und überhaupt schon fast ein wenig langweilig war dieser Film, doch meine Anerkennung geniesst er trotzdem. Hat mit seiner extrem bedächtigen Erzählweise leider nicht so ganz meinen Geschmack getroffen, aber was solls. Vornehm geklatscht habe ich nach der Vorstellung trotzdem, nur leider stand der Regisseur heute nicht zur Verfügung. Ein nächtlicher Spaziergang brachte uns dann vorbei am Alexanderplatz und Fernsehturm zu den Hakeschen Höfen, wo wir uns in einer netten kleinen Kneipe namens "Meilenstein" niedergelassen haben. Experimentierfreudig wie ich in diesem Moment war habe ich mir die Berliner Weisse mit Schuss bestellet, einmal rot (Himbeere), einmal grün (Waldmeister). Ganz bestimmt ein Frevel für jeden aufrechten Bayer, aber geniessbar war es allemal. Auf dem Heimweg haben wir einen Schlenker zur Friedrichsstrasse gemacht und uns eine Currywurst in einem prämierten Imbiss unterhalb des Bahnhofs gegönnt. Der Besitzer war lustig. Weil die Gläser für den Don Perignon (150 Euro die Flasche) immerzu runtergeflogen sind wenn ein Zug über das Gebäude hinweggerauscht ist, musste er die Regale mit zentimeterhohen Kanten versehen. Ausserdem hat er letzte Nacht beobachtet wie der Türkische Imbiss gegenüber einen tiefgefrorenen Dönerspiess direkt aufgewärmt und verkauft hat. Skandal im Bezirk! 20.2.05 - Sonntag Das letzte Frühstück vor dem Auschecken. Schön wars hier in diesem Hostel, jeden Tag standen ein paar andere tätowierte, englischsprachige, junge Leute hinter dem Tresen. Abwechslung muss wohl sein. Auf jedenfall eine dicke Empfehlung für jeden der eine zentrale, relativ günstige und punckrockige Bleibe in Berlin sucht. Wir verstauten das Gepäck und los ging es zur Museumsinsel, genauer gesagt ins gewaltige Pergamon Museum. Ein Hort der für uns, als Geschichts-Banausen, sicherlich nicht die selbe Wirkung entfaltet wie auf Interessierte, aber auch ohne das nötige Hintergrundwissen ist der Besuch jeden Penny wert. Zur Eintrittskarte gibts nämlich ein paar schicke Kopfhörer und einen kleinen Taschencomputer mit dazu, der auf Knopfdruck alles Wissenswerte über das gewünschte Ausstellungsstück ausspuckt. Schon faszinierend, was man im Orient so alles ausgraben, mühsam transportieren und an einem geeigneten Ort wieder aufbauen kann. Nach über 2 Stunden waren wir vollgestopft mit Informationen und geplagt von Rücken und lahmen Beinen. Merke - das Museum ist an einem einzigen Tag nicht zu schaffen, höchstens unter Schmerzen. Raus an die frische Luft, entlang der Insel und dann queer hinüber zum Gendarmenmarkt, einem beliebten Platz für Filmdrehs. Der Hunger lenkt uns direkt zu einer Subway-Filiale, denn in der Gegend hier scheinen sonst nur die etwas nobleren Restaurants beherbergt zu sein. Am Automobilforum fiel mir ein schicker Bugatti Prototyp ins Auge, und wir entschlossen uns kurz reinzuschauen. Eine gute Wahl, denn in der untersten Etage war gerade eine Ausstellung mit den schönsten Naturfotos des Jahres aufgebaut. Dies haben wir uns natürlich nicht nehmen lassen und sind die tollen Bilder reihum durchgegangen. Weiter gings durchs Brandenburger Tor zum Reichstag, dem Touristenmagnet Numero Eins. Wir durften erstmal 30 min anstehen bis es mit dem Aufzug nach oben ging. Die Sicht ist wirklich nicht von schlechten Eltern, auch wenn es an diesem Tag etwas trübe war. Den Versuch, die Siegessäule aus nächster Nähe zu betrachten, haben wir schnell aufgegeben, das viele Gehen in den letzten Tagen zollte langsam aber sicher Tribut. So blieb es bei einem Schnappschuss aus der Ferne :) Als es dunkel wurde haben wir uns für ein Vietnamesisches Restaurant namens "Chinco" am Bahnhhof Friedrichsstrasse entschieden. Wunderschön eingereichtet, sehr höfliches Personal und sogar mit einem kleinen Bächlein welches sich durch das Lokal schlängelt und in dem sich zahlreiche bunte Fische tummeln. Als Begrüssung gabs auch erstmal einen recht bitteren, lauwarmen Tee. Die Gerichte waren dafür sehr lecker, welche ich zusammen mit einem milden Hanoi-Bier genossen hab. Zur Sicherheit haben wir uns danach schon die Fahrkarte besorgt und sind dann erst zurück zum Hostel um die letzte halbe Stunde zu verbringen und das Gepäck zu holen. Der Kerl an der Rezeption spielte "Arizona Dream" von Kusturica auf der Leinwand ab und liess im Hintergrund ein wenig Technogedüdel laufen. Eine bizarre Kombination. Um 20.30 Uhr sind wir in den Regionalexpress eingestiegen der uns in 30 min zum Flughafen Schönefeld gebracht hat. Dann hiess es weitere 1 1/2 Stunden warten (wegen den Herta BSC Spielern die der Flieger noch in Stuttgart aufgesammelt hat) bis es ab nach Hause ging. Tot umfallen um Eins. Bis Bald, Berlin. |